„2019 Stresstest für Deutschland und Europa“

05.04.2019

Wolfgang Bosbach eröffnet Europawahlkampf in Ahrensburg

Ein Politiker, der Informationen und manchmal unbequeme Wahrheiten wie in einer besonders gelungenen TV-Talkshow unterhaltsam und vergnüglich verpackt, und das alles auch noch live auf der Bühne: Wolfgang Bosbach, prominenter Gast der CDU Ahrensburg, demonstrierte im Eduard-Söring-Saal der Stormarnschule, wie es geht. Der prominente Politprofi eröffnete den Europawahlkampf in Stormarn mit einem einstündigen Vortrag, der unter dem Motto „2019 — Stresstest für Deutschland und Europa“ stand.

Bosbach, der von 1994 bis 2017 als CDU-Abgeordneter dem Bundestag angehörte und von den Gastgebern Tobias Koch, Claus Brandt und Maik Neubacher als publikumswirksamer Redner eingeladen worden war, präsentierte sich als meinungsstarker Wertkonservativer: „Ich vertrete immer die Positionen der CDU, allerdings auch solche, die früher die Positionen der CDU waren.“ So etwas kam gut an bei den rund 200 Zuhörern, es  gab mehrfach Szenenapplaus.

Bei aller Leichtigkeit seines an Pointen reichen Vortrags ließ Bosbach keinen Zweifel daran, dass einige Entwicklungen in Deutschland und Europa ihm erhebliche Sorgen bereiten. Da sei zum einen die rasante Veränderung der Parteienlandschaft in zahlreichen Staaten Europas, die große Unsicherheiten bringe. Auch in Deutschland, wo die zwei großen Volksparteien zuverlässig für Maß und Mitte und für ein Klima des Ausgleichs gesorgt hätten, das Extremisten keinen Raum bot. „Die Aussage, ‚eine Große Koalition geht immer‘ gilt nicht mehr“, sagte Bosbach, der sich Sorgen wegen der niedrigen Umfragewerte der SPD machte, auch wenn es in Deutschland noch nicht so dramatisch sei wie in anderen europäischen Staaten wie Frankreich, wo das alte Parteiensystem quasi im Zeitraffer bedeutungslos geworden sei.

„Wir müssen die Stabilität in Europa bewahren, oder es gerät ins Rutschen, was wir erarbeitet und verteidigt haben“, warnte Bosbach. Dazu gehöre auch, den Briten den Brexit nicht durch zu große Zugeständnisse zu erleichtern, weil dies als schlechtes Beispiel destabilisierend fürs große Ganze wirken könne: „Wenn jeder nur die Vorteile sucht und sich aussuchen kann, was ihm an Europa gefällt, ohne auch Verpflichtungen einzugehen, kann die EU nicht funktionieren.“

Tatsächlich müssten wir uns der vielen Errungenschaften bewusst werden, die inzwischen leider als Selbstverständlichkeiten betrachtet würden. Außerdem hätten sich die Gewichte in der Welt so verschoben, dass die europäischen Staaten nur als Einheit ihre Interessen vertreten könnten. „Andernfalls wird Europa dramatisch an Einfluss verlieren, und unser Einfluss auf Schicksalsfragen würde marginalisiert.“

Für die Bundesrepublik, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine beispiellose Erfolgsgeschichte vorweisen könne (in 63 von bislang 69 Jahren wuchs die Wirtschaft), forderte Bosbach, dass das Land der Denker und Ingenieure im Zeitalter der rasanten digitalen Veränderung nicht den Anschluss an neue Technologien verliere. „Wer nichts im Boden hat (also nicht ausreichend Bodenschätze), der braucht Birnen (also kluge Köpfe)“, sagte Bosbach. „Deshalb muss Bildung unsere wichtigste Investition sein.“

Im übrigen gelte es, mehr Begeisterung für Deutschland („bei aller Kritik ein tolles Land, für das es sich zu arbeiten lohnt“) und Europa („die politische Kernidee lautet: nie mehr Krieg auf diesem Kontinent“) zu wecken. Bosbach sagte, es sei zwar viel von Politikverdrossenheit die Rede, doch tatsächlich registriere er viel politisches Interesse bei den Menschen, aber eine Parteien- und Politikerverdrossenheit, gegen die es ebenso zu arbeiten gelte wie gegen die Bürokratisierung in Brüssel, damit wieder Interesse am eigenen politischen Engagement geweckt werde. „Eine Demokratie ohne engagierte Demokraten kann nicht funktionieren.“